Antiscia- eine alte Technik neu entdeckt

[:de]In der Astrologie gibt es viele Punkte in einem Horoskop, denen eine besondere Bedeutung zugemessen wird und die auf präzise Art und Weise Planeten und deren Signifikate zusammenbringen, auch wenn zwischen diesen kein klassischer Aspekt besteht.

Zu diesen Punkten gehören die Antiscia.

Die Antiscia im Plural bzw. Antiscium (lat.) im Singular oder Antiscion (gr.) waren nachweislich bereits in hellenistischer Zeit bekannt. Die frühesten uns bekannten Autoren, die sie erwähnen, sind Marcus Manilius (1. Jhd. n.Chr.) in seinem Lehrgedicht Astronomica[1]und Dorotheus von Sidon (1. Jhd. n. Chr.) in seinem Carmen Astrologicum. Beide Autoren beschreiben zwar die Antiscia, allerdings nicht unter diesem Namen, sondern bezeichnen sie als befehlende und gehorchende Zeichen, worauf ich später eingehen werde.

Firmicus Maternus (4. Jhd. n. Chr.) beschreibt die Antiscia als erster unter dieser Bezeichnung. Er ist auch der einzige klassische Autor, der den Antiscia (auf deutsch auch Antiszien) ein ganzes Kapitel inklusive einem Beispielhoroskop gewidmet hat. In seiner Matheseos Libri VIII macht er klar, dass es bereits zu seiner Zeit verschiedene astrologische Denkrichtungen gab und die Antiscia dabei eine Rolle spielten:[2]:

Die Babylonier legten das Hauptgewicht [in ihrer astrologischen Analyse] auf die Dodekatemorien, Ptolemäus auf die Antiszien, wir auf beide.

Dabei macht er deutlich, dass die Antiscia von vielen früheren Astrologen angewendet worden waren und er entsprechend auf deren Tradition aufbaut: [3]

Die Antiszien der Griechen sind uns durch deren Lehre erhalten geblieben, und ich möchte nicht, dass man etwas ehrfürchtig gelten lässt, was die Griechen nicht selbst beschrieben haben. Auch Ptolemäus hat sich von der Erwägung der Richtigkeit der Antiszien leiten lassen. Ebenso auch Antiochus. Dorotheus Sidonius, ein sehr kluger Mann, der die Gestirnwirkungen durchaus zuverlässig in Versen bearbeitet hat, äußert sich sehr deutlich in seinem vierten Buch über die Antiszien.

Grundsätzlich wurden die Antiscia als Statthalter des jeweiligen Planeten von dem sie kalkuliert wurden angesehen, was Firmicus Maternus so beschreibt:[4]

Wenn in einer Genitur Planenten untereinander keine Aspekte bilden, dann sehe man nach, ob nicht ihre Antiszien sich gegenseitig bestrahlen, da deren Aspekte genauso zu bewerten sind, wie die Aspekte der Planeten selbst.

Dies wiederum bedeutet, dass ein Planet einen anderen durch Konjunktion, Sextil, Quadrat oder Opposition aspektieren kann oder aber dessen Antiscium.

Um zu verstehen, welche Bedeutung den Antiscia im Frage- bzw. Geburtshoroskop zukommt, müssen wir uns zunächst mit bestimmten Unterteilungen des Horoskops beschäftigen:

  • dem Konzept von auf- und absteigenden Tierkreiszeichen entlang der Solstitialline
  • dem Unterschied zwischen gerade und schräg aufsteigenden Zeichen
  • den befehlenden und gehorchenden Zeichen.

 

Definition von Antiscia

Antiscia sind Spiegelpunkte von der Solstitiallinie, also den beiden Punkten auf der Ekliptik, an denen die Sonne ihre maximale Deklination von ca. 23°4’ entweder in nördlicher Richtung (0° Krebs) oder in südlicher Richtung (0° Steinbock) erreicht. Ein Planet (P) und sein Antiscium (A) befinden sich in Zeichen, von denen das eine im gleichen Abstand zur aufsteigenden Seite der Ekliptik liegt wie das andere auf der absteigenden Seite. [5]

Die folgende Abbildung verdeutlicht dies.

Planet 1 befindet sich an der aufsteigenden Seite der Ekliptik und sein Antiscium entsprechend genau gegenüber an der absteigenden Seite der Ekliptik. Entsprechendes gilt für Planet 2 und Planet 3: beide befinden sich an der absteigenden Ekliptik und ihre Antiscia befinden sich entsprechend an der aufsteigenden Ekliptik.

 

Hier werden die auf- und absteigenden Zeichen der Ekliptik im Horoskop dargestellt:

 

Das griechische  Wort Antiscion setzt sich aus den von den beiden Silben-anti (entgegen) und σκιά (skiá) f (plural σκιές)  (Schatten) zusammen. Scia hat zwei Bedeutungen:[6]

  • Stelle, auf die kein direktes Licht trifft: Schatten
  • in der Unterwelt: Schatten, Schattengestalt, Phantom

Antiscia bedeutet also Schatten auf der gegenüberliegenden Seite. [7] Wie wir wissen, sind die Solstitien (Sonnenwenden) jeweils der längste Tag des Jahres (21. Juni, Sonne auf 0°Krebs) bzw. die längste Nacht des Jahres (21. 12, Sonne auf 0° Steinbock). Insofern beschreibt die Beziehung Planet- Antiscium also ein Verhältnis von Licht und Schatten im Horoskop: wieviel (Tages)licht entspricht derselben Menge an (Nacht)schatten. Außer an den beiden Solstitien “fehlt” den Tagen jeweils ein Stück Tageslicht bzw. Nachtschatten, um vollkommen zu sein. Insofern ergänzen sie sich beide.

Da die Sonne bzw. das Licht im Allgemeinen eine besonders große Rolle in der klassischen Astrologie spielen, ist klar, dass den Zeichen eine unterschiedliche Kraft zugemessen wird,  je nachdem wieviel Tageslicht sie erhalten. Zeichen mit mehr Tageslicht wirken anders als Zeichen, in denen der Schatten überwiegt. Licht ist wie ein Motor, der vorantreibt, man sieht die Dinge und kann mit der Arbeit anfangen. Nachts, im Dunklen, ist man unsicherer, man muss aufpassen, wohin man geht, die Sinne können zwar hellwach sein, sind aber eher auf Rückzug programmiert.

 

Solstitiallinie

Die Berechnung der Antiscia von der Solstitiallinie bringt in der Literatur ein Problem mit sich. Wie James Herschel in seiner Porphyrius Übersetzung anmerkt [8], arbeiteten die frühen Astrologen noch mit der Berechnung der Sommersonnenwende auf 15° Krebs.

Zu ihnen gehörte der in Sizilien lebende Marcus Manilius, der einen Planeten im Steinbock rechts von der 15° Linie nach links im Steinbock spiegelte und umgekehrt. Aus diesem Grund waren seine Antiscia Paare:

  • Steinbock-Steinbock
  • Wassermann-Schütze
  • Fische-Skorpion
  • Widder-Waage
  • Stier-Jungfrau
  • Zwillinge-Löwe
  • Krebs-Krebs

Vettius Valens (123 n.Chr.), Porphyrus (234 n.Chr.) und Paulus von Alexandrien (ca.350 n.Chr.) benutzten nachweislich dieses System.[9]

Firmicus Maternus, der drei Jahrhunderte später lebte, arbeitete bereits mit 0°Krebs, also mit zu seiner Zeit moderneren astronomischen Berechnungen, welche die rückläufige Bewegung der Erdachse (Präzession) mit einkalkulierten. Er spiegelte deshalb einen Planeten im Steinbock entlang der 0° Linie, also in das sich auf der anderen Seite befindende Zeichen Schütze.

Aus diesem Grund waren seine Paare:

  • Steinbock-Schütze
  • Wassermann-Skorpion
  • Fische-Waage
  • Widder-Jungfrau
  • Stier-Löwe
  • Zwillinge-Krebs

Diese Paare sind auch heute noch gültig.

Gerade und schräg aufsteigenden Zeichen

Die Zeichen Steinbock bis Zwillinge befinden sich entlang der aufsteigenden Hälfte der Ekliptik.[10] Ab der Wintersommerwende am 21.12 und dem Eintritt der Sonne in den Steinbock werden die Tage länger und das Licht nimmt zu. Diese Tierkreiszeichen steigen aufgrund der Schiefe der Ekliptik schräg am Osthorizont auf, wodurch sie weniger als zwei Stunden benötigen, um ganz aufzugehen. Sie nehmen langsam an Licht zu.

Die Zeichen von Krebs bis Schütze steigen relativ gerade auf, weshalb sie auch mehr als zwei Stunden um benötigen, bis der letzte Grad am Osthimmel aufgegangen ist. Diese Zeichen befinden sich entlang der absteigenden Hälfte der Ekliptik und nehmen langsam an Licht ab.In antiken Textbüchern liest man oft von “schnell aufsteigenden Zeichen”, und “langsam aufsteigenden Zeichen”.

Nur an den Solstitien benötigen die Zeichen genau zwei Stunden. Dieses Konzept war in der klassischen Astrologie so wichtig, dass der persische Astrologe Sahl Ibn Bishir (9. Jhd.) es bereits in dem 3. Paragraphen seiner Einleitung erwähnt, noch bevor er Zeichen in fix, beweglich und kardinal unterscheidet.[11][12]

Und von diesen [12 Tierkreiszeichen] steigen sechs Zeichen gerade auf, das bedeutet sie haben einen geraden Aufgang. Und sechs Zeichen steigen schräg auf und haben einen gekrümmten Aufgang. Die Zeichen, die gerade aufsteigen sind solche vom Beginn des Krebs bis zum Ende des Schützen, weil deren Breite grösser ist als ihre Länge und sie steigen in mehr als zwei Stunden auf: deshalb werden sie „gerade aufsteigende Zeichen“ genannt. Und sie, die schräg aufsteigen sind die Zeichen vom Beginn des Steinbocks bis zum Ende von den Zwillingen, weil deren Breite kleiner ist als deren Länge und jedes von ihnen in weniger als zwei Stunden aufsteigt: aus diesem Grund heißen sie „schräg aufsteigende Zeichen“.

Den Unterschied zwischen gerade und schräg aufsteigenden Zeichen kann man schnell mit einem Lineal und einer Tischkante visualisieren: Ein gerade an der Tischkante hochgeführtes Lineal braucht länger als ein schräg hochgeführtes.Wir können also bisher zusammenfassen, dass die Antiscia ein langsam aufsteigendes Zeichen mit einem schnell aufsteigendem Zeichen in Beziehung setzen[13] und sich gegenseitig das ihnen fehlende Licht ergänzen.

 

Gehorchende und befehlende Zeichen

Da die alten Astrologen alles was in der Natur um sie herum geschah genau beobachteten und daraus die ihnen innenwohnende astrologische Bedeutung ablasen, waren sie sich darüber im Klaren, dass den unterschiedlichen Aufgangszeiten der Tierkreiszeichen eine besondere Bedeutung zukommen musste. Gerade aufsteigende Zeichen wirkten stärker, entschlossener, wie ein Mensch in seinen besten Jahren, während die schräg aufsteigenden Zeichen eher den Eindruck eines Krabbelkindes vermittelten.Der aus dem heutigen Irak stammende Al Qabisi, auch bekannt als Alcabitius (10. Jhd. n.Ch.), schreibt über das unterschiedliche Kräfteverhältnis: [14]

Die schräg aufgehenden gehorchen den gerade aufsteigenden Zeichen. Das bedeutet, dass zwei Zeichen im selben Abstand zu den ersten Graden des Krebs einander gehorchen, so wie die Zwillinge dem Krebs gehorchen, der Stier dem Löwen, der Widder der Jungfrau, die Fische der Waage, der Wassermann dem Skorpion und Steinbock dem Schützen.

Al Quabisi macht also klar, dass es bei den Zeichen eine gewisse Rangordnung gibt: die einen gehorchen den anderen.Der etwas später lebende Perser Al Biruni (973- 1048 n. Ch.) sieht das genauso:[15]

Die schräg aufsteigenden Zeichen heißen auch „gehorchend“, was an ihrer gleichen Aufgangszeit liegt, wenn man nämlich zwei Zeichen auf einem Parallel miteinander vergleicht, sieht man, dass das Zeichen, das zur absteigenden Zeichenhälfte gehört [Krebs-Schütze], in seinem täglichen Lauf vorher  aufgeht und die Zeichen ab der absteigenden Hälfte später, also befiehlt das Erste über das Zweite, welches  dem Kommando gehorcht und immer folgt.

Leider stehen Al Qabisis und Al Birunis Aussagen im Konflikt zu den uns überlieferten Übersetzungen von Ptolemäus (1. Jhd. n. Ch.), der die gehorchenden/befehlenden Zeichen nicht von den Solstitien sondern von den Äquinoktien abhängig machte (meine Hervorhebung): [16]

Die Namen “befehlend” und „gehorchend“ beziehen sich auf die Zeichen, die sich im gleichen Abstand zu einem der beiden Äquinoktien befinden, weil sie dieselbe Zeit für ihren Aufstieg benötigen und sich auf den gleichen Parallelen befinden. Solche, die sich in der Sommerhälfte befinden, heißen “befehlend” und die, welche sich in der Winterhemisphäre befinden, heißen „gehorchend“, weil die Sonne die Tage länger werden lässt als die Nacht, wenn sie sich in der Sommerhemisphäre befindet, und im Winter kürzer.

Diese Aussage mutet merkwürdig an, weil die Tage in den Zeichen von Widder bis Waage eben nicht alle länger werden: im Gegenteil, von Krebs bis Waage werden sie wieder kürzer! Ptolemäus hingegen sieht die Zeichen, die sich im gleichen Abstand zur Solstitiallinie befinden als sich gegenseitig anschauende Zeichen mit gleicher Kraft an. [17]

Ich denke, dass es sich bei dem Wort Äquinotkum um einen (Abschreib-) Fehler handelt, da Ptolemäus an anderer Stelle schreibt, dass der Steinbock den Winter hervorbringt (also die Zeichen Steinbock-Zwillinge Winterzeichen sind, während die Zeichen Krebs-Schütze demzufolge den „Sommer“ hervorbringen. [18] Insofern gehorchen die (schräg aufsteigenden) Winterzeichen den (gerade aufsteigenden) Sommerzeichen und Ptolemäus Aussage wäre mit der von Dorotheus von Sidon (75 n.Ch.) identisch. Dieser schreibt: [19]

Und siehe dir in jeder Elektion, um die dich jemand bittet, das Zeichen am Aszendenten an und ob es gerade oder schräg aufsteigt, sowie die kardinalen oder variablen unter ihnen und den Stern der sich zu Beginn einer Arbeit am Aszendenten befindet, um zu sehen, ob es gut oder schlecht werden wird.(…)

Die gerade aufsteigenden Zeichen sind Krebs, Löwe, Jungfrau, Skorpion und Schütze, weil jedes dieser Zeichen in zwei Stunden und etwas mehr aufgeht. (….) Und die schräg aufsteigenden Zeichen sind Steinbock, Wassermann, Fische, Widder, Stier und Zwillinge.(…)

Siehe die bei jeder Elektion an, welches Zeichen zu der Zeit aufsteigt, ob es gerade oder schräg aufgeht, denn wenn es schräg aufsteigt, dann wird die Arbeit schwer oder langsam und mühselig von der Hand gehen, und Schwierigkeiten und Last mit sich bringen.

Das bedeutet also, dass es gerade aufsteigende Zeichen leichter haben werden als schräg aufsteigende Zeichen, die mit mehr Problemen und Verzögerungen zu rechnen haben. Dorotheus verdeutlicht aber auch, dass sich die oben genannte Aussage allein auf die Zeichen bezieht, während Planeten in diesen Zeichen die Aussagen relativieren können: [20] Diese Schwierigkeiten könnten damit zusammenhängen, dass schräg aufgehende Zeichen mehr zur Erde geneigt aufsteigen, welche mit der materiellen Welt in Verbindung gebracht wird und Last, Verantwortung und Gewicht darstellt, während die gerade und eher rechtwinklig aufsteigenden Zeichen sich symbolisch in den Himmel ranken.

Siehe Dir dann die Stellungen der sieben Planeten in den Häusern(…) an: wenn sich der Aszendent in einem schräg aufsteigenden Zeichen befindet und sich ein gutgestellter Planet dort befindet oder er von einem guten Planeten aspektiert wird, wird ihm die Last genommen und ihm beim Erfolg seiner Arbeit geholfen (…).

(…) Und wenn sich der Aszendent in einem gerade aufsteigenden Zeichen befindet, sich dort aber ein Übeltäter befindet oder er von einem solchen aspektiert wird, verzögert sich der Erfolg und Unruhe und Schwierigkeiten kommen ins Spiel.

Wenn man wie Ptolemäus die Äquinoktien für die gehorchenden/befehlenden Zeichen zu Grunde legt, (Widder bis Jungfrau und Waage bis Fische) vermischen sich gerade und schräg aufsteigende Zeichen (z.B. Krebs und Widder) und die Unterscheidung von langsam und schnell oder leicht und schwer macht keinen Sinn mehr.

Leider war Ptolemäus nicht der Einzige, der mit diesem Prinzip arbeitete, Paulus von Alexandrien (4.Jhd.) hat es wahrscheinlich von ihm übernommen und benutzt es in seiner Einleitung zur Astrologie. Dies ist verwirrend, weil er darauf aufmerksam macht, dass Zeichen die schräg aufsteigen (gehorchende Zeichen) besonders gut für Flüchtlinge sind, für weite Reisen oder für (juristische) Klagen, weil sie eine trennende Natur haben. [21]

 

Berechnung des Antisciums:

Wie wir gesehen haben, befinden sich in unserer Zeit folgende Zeichenpaare im selben Abstand zur Solstitiallinie:

    • Krebs-Zwillinge
    • Löwe-Stier
    • Jungfrau-Widder
    • Waage-Fische
    • Skorpion-Wassermann
    • Schütze-Steinbock

Die Berechnung des Antiscium ist sehr einfach. Man subtrahiert den Grad und die Minuten eines Planeten von 30 und erhält so den Grad und die Minuten des Antiscium.Nehmen wir zum Beispiel an, ein Planet befinde sich auf 12°28’ Stier. Wenn 12°28‘ von 30° subtrahiert werden, erhält man 17°32. Der Stier hat sein Antiscium im Löwen, also fällt das Antiscium eines Planeten auf 12°28´ Stier auf 17°32‘ Löwen.Ein Planet auf 14° Waage hat sein Antiscium auf 16° Fische. Ein Planet auf 2°47‘ Widder hat sein Antiscium auf 27° 13‘ Jungfrau.
Bei der Berechnung der Antiscia ist anzumerken, dass Autoren wie William Lilly keinen Orb zum Antiscium akzeptierten,[22] die Aspekte müssen also partil sein. Ich persönlich habe in meinen eigenen Klienten Horoskopen gesehen, dass ein applikativer Aspekt von max. 3° Wirkung zeigt.

 

Geburtshoroskope

1. Ceonius Albinus

Firmicus Maternus demonstriert die Anwendung von Antiscia in seinem Beispielhoroskop sehr ausführlich.[23] Dabei fällt auf, dass er Antiscia nicht nur für Aspekte mit anderen Planeten benutzt (Konjunktion, Trigon, Opposition oder Sextil) sondern sich auch ansieht, in welches Haus ein Planet sein Antiscium sendet, auch wenn sich dort kein Planet befindet. [24]Der Vater des Horoskopeigners lebte jahrelang in Verbannung, was Firmicus anhand von vier Antiscia  erklärt:

  • Antiscium von der Sonne in die Waage (12. Haus)

Die Sonne sendet ihr Antiscium in den 12. Ort der Genitur, woraus ohne Weiteres die Verbannung des Vaters zu erkennen ist. Die Antiszie des Jupiter, die die Kraft und Stärke de Planeten in den 12. Ort der Genitur überträgt besagt für den Geborenen und für dessen Vater mächtige Feinde unter den Höhergestellten. Wir können hier auch sehen, dass die Waage (gerade aufsteigend) über die Fische (schräg aufsteigend) befiehlt, also wird ihm die Verbannung befohlen. Die Sonne befindet sich in der Waage außerdem in „ihrer Erniedrigung“.

  • Antiscium der Sonne zu Saturn

Firmicus führt weiter aus, dass die Sonne in Opposition zu Saturn steht aber auch deren Antiszien sich in Opposition zueinander befinden: das Antiscium von Saturn in der Jungfrau steht in Opposition zum Antiscium der Sonne in der Waage. Das wiederum bedeutet, dass die höchste Autorität (Sonne) die Verbannung (Antiscium im 12. Haus) anordnet. Gleichzeitig beschreibt Saturn in Verbindung zur Sonne eine Erniedrigung oder Entwürdigung bzw. den sozialen Fall. Im 6. Haus beschreibt sein Antiscium Befehle und Anordnungen.

  • Antiscium des Mondes in den Zwillingen

Er weist auch darauf hin, dass das Antiscium des Mondes in die Zwillinge fällt und von Mars ein Trigon erhält. Da der Mond zunimmt und der Mars sich auf das Antiscium im 8. Haus zubewegt, ist dieser Aspekt besonders schwierig, weil Mars selbst den Körper des Horoskopeigners beschreibt ( Herrscher des 1. Hauses) und sich das Antiscium im 8. Haus (Schaden) befindet, zum anderen aber auch der Mond selbst der natürliche Herrscher von (jedem) Körper ist und Mars als natürlicher Herrscher Aggression beschreibt. Dieser Aspekt wird von Firmicus aber wohl eher als „allgemeine physische Behinderung“ angesehen: der Mann konnte sich nicht mehr vollkommen frei und nach seinem Belieben überall bewegen.

  • Dem Antiscium von Mars im AC

Mars sendet sein Antiscium aus dem 4. Haus in den Skorpion, dem Aszendenten, was Albus physisch in seiner Heimat bedroht.

 

2. Adolf Hitler

In Hitlers Chart fallen zwei Aspekte besonders ins Auge.

Er war dafür bekannt, die Massen mit seiner Sprachgewalt fast hypnotisch in den Bann zu bringen. Es war weniger die Wortwahl als vielmehr die dahinterstehende Kraft. Sein Merkur ist entsprechend im Widder, der Wortschwall war heftig. Er befindet sich im 7. Haus, ist also an ein Publikum gerichtet. Merkur steht im Dekan von Mars und in den Grenzen von Saturn, zu dem er ein (abnehmendes) Quadrat macht, was den Befehlston und den rassistischen Inhalt beschreibt. (Saturn symbolisiert Ausschluss, Diskriminierung etc.)
Das Antiscium von Merkur befindet sich im 12. Haus in der Jungfrau (4° 11‘). Hier sind seine „versteckten Feinde“. Die Jungfrau ist ein direkt aufsteigendes Zeichen und befiehlt dem im Widder stehenden Merkur, was zu tun ist. Es geht also nicht darum, die Massen etwas über bestimmte „versteckte Feinde“ zu informieren (das wäre der Fall gewesen, wenn das 7. Haus die treibende Kraft gewesen wäre), sondern die treibende Kraft war Hitlers Verfolgungswahn (12. Haus).

Der zweite Punkt, der mir auffiel, war die intime Verbindung zwischen Ihm persönlich und dem Volk. Sein AC Herrscher Venus befindet sich in Konjunktion zu Mars im 8. Haus. Er ist für millionenfachen Massenmord verantwortlich. Mars befindet sich in diesem Tageschart außerhalb seiner eigenen Sekte (Nachtplanet) und ist zusätzlich im Exil. Aber beide Planeten stehen genau in Konjunktion zum Antiscium von Saturn (16° 23‘), der über das Volk regiert (Herrscher 4. Haus). Die Planeten aspektieren sich zwar auch im Quadrat, allerdings ist das ein separativer Aspekt. Die Konjunktion mit dem Antiscium ist dagegen permanent. Saturn im 11. Haus beschreibt Bevölkerungsgruppen. Saturn wird mit dem Judentum assoziiert. Hitlers AC Herrscher Venus in Konjunktion zu Mars und Saturns Antiscium nimmt so eine neue Bedeutung an.

 

3. Paramhamsa Yogananda

Bei Yogananda, der in den zwanziger Jahren von seinem Guru den Auftrag herhielt, als Erster den (Kriya-) Yoga[25] in den Westen zu bringen, befindet sich das Antiscium des natürlichen Herrschers von Yoga und Spiritualität (Jupiter) in seinem 1. Haus.

Außerdem finden wir die Sonne, Herrscherin über das 12. Haus (Meditation) im 5. Haus, welches mit Bewegung und Wohlbefinden im Zusammenhang steht. Aber erst das Antiscium von der Herrscherin des 9. Hauses, Venus, verbindet den Kriya Yoga (Herrscher 12. Haus) mit dem Ausland.Außerdem steht Paramahansas Mond im 12. Haus und sein Antiscium ist exakt konjunkt mit dem Mondknoten im 9. Haus.

Da sich die Sonne in einem schräg aufsteigenden Zeichen und Venus sich in einem gerade aufsteigenden Zeichen befindet, folgen die Yogalehren Paramahansa ins Ausland. (Wäre das Gegenteil der Fall, hätte er vermutlich in Indien ausländisches Interesse für die Lehren seines Landes geweckt).

 

4. Johannes Trithemius

Dies ist das Horoskop von dem Erfinder der Steganographie, die als Vorläuferin der Kryptographie bzw. dem Vercoden von Mitteilungen gilt. Trithemius was ein Mönch und interessiert an Astrologie und okkulten Wissenschaften, was er allerdings als Kirchenmann nicht offen praktizieren konnte. Er war unter anderem der Lehrer von Cornelius Agrippa und Paracelsius.


Sein Aszendent befindet sich im Geheimnis liebenden Skorpion und sein AC Herrscher im 5. Haus der Leidenschaften, in Konjunktion zu Mond, dem Herrscher des 9. Hauses, welches Astrologie und Magie beschreibt. Beide Planeten haben ihre Antiscia im 12. Haus, den “Geheimnissen” oder eben den Verschlüsselungen, wobei das 12. Haus über das 5. befielt. Und Venus, die Herrscherin des 12. Hauses, befindet sich im 6. Haus, das mit persönlichen Fähigkeiten und Kompetenzen in Verbindung steht. Trithemius machte Verschleierung (12. Haus) zu seiner ganz speziellen Kompetenz, die einen großen praktischen Nutzen (6. Haus) hatte und in seiner Zeit absolut innovativ war (Venus im Widder). Gleichzeitig war der geheime Inhalt für Gleichgesinnte /Freunde (Venus im 11. Haus).

Codifizierung kann man auch als eine Saturn-Merkur Verbindung ansehen. Saturn herrscht über das 3. Haus (Lernen und Schreiben) und Merkur über das 8. Haus, welches auf verbotene Wissenschaften oder Alchemie hinweist. Die Antiscia fallen in Trithemius 1. Haus, seine Lebensaufgabe.
 

Stundenastrologie

Antiscia haben auch in der Stundenastrologie eine große Bedeutung.Der englische Astrologe William Lilly schrieb im 17. Jahrhundert:[26]

Die Antisciazeichen sind solche, welche dieselbe Eigenschaften besitzen und sich in derselben Entfernung vom ersten Grad sowohl des nördlichen (Krebs) als auch des südllichen (Steinbock) Wendekreises befinden, in welchen Tag und Nacht gleich lang sind (…). Ein Planet überträgt seine Eigenschaft bzw. seinen Einfluss auf einen anderen Planeten, der sich auf demselben Grad in Konjunktion oder Aspekt zu dessen Antiscium befindet.

In seinem Beispielhoroskop „Ein Schiff auf See?“[27], geht es um die Frage, ob das Schiff eines Reevers untergegangen ist und ein Fall für die Versicherung war oder ob das Schiff nur Verspätung hatte. Neben einer Reihe von anderen Punkten findet Lilly Mars als den Herrscher des 11. Hauses (Glück, Helfer, Seenotretter) und Herrscher von Fortuna, der sein Antiscium genau auf den Aszendenten sendet. Gleichzeitig sendet

Jupiter, der sich im 11. Haus befindet, sein Antiscium in den Löwen, der sich im 2. Haus befindet, weshalb Lilly seinem Klienten mitteilte, dass das Schiff sich zwar in Gefahr befunden hatte, nun aber die Besatzung und die eingelagerten Waren in Sicherheit waren sind und der Mann keinen wirtschaftlichen Verlust haben würde.

 Ich hoffe, mit diesem Artikel Neugierde auf die Arbeit mit den Antiscia geweckt zu haben und danke meiner Kollegin und Freundin Birgit Gohr für die offene Diskussion zum Thema.

Dieser Artikel ist bereits im Meridian (12/2018) und im AA Journal  (Sept/Oct. 2019) erschienen und auf astro.com veröffentlicht worden

(C) Tania Daniels all rights reserved.

 

[1] Manilius, S. 143

[2] Firmicus, S. 143

[3] Julius Firmicus Maternus, Die Acht Bücher des Wissens, Chiron Verlag, S. 77 ff.°

[4] Julius Firmicus Maternus, Die Acht Bücher des Wissen- Matheseos Libri VIII, Chiron Verlag 2008, S. 79

[5] Man kann sich auch vorstellen, ein Horoskop entlang der Krebs/Steinbocklinie zu falten und diese zu spiegeln, wodurch man ebenfalls die Antiscia erhält.

[6] https://de.wiktionary.org/wiki/σκιά[7] Siehe hierzu auch Darrelyn Gunzbergs Artikel, online auf http://www.darrelyngunzburg.com/PDFs/AntisciaPoints_website.pdf

[8] Porphyry the Philosopher Introduction to the Tetrabiblos and Serapio of Alexandria Astrological Definitions, Herschel Übersetzung, American Federation of Astrologers, 2009, S. 26, Fußnote 2

[9] Siehe Fußnote 9

[10] Dies kann am besten mit Hilfe der Abbildung 1 visualisiert werden.

[11]Works of Sahl & Masha´allah, Dykes Übersetzung, Cazimi Press, 2008, S.1

[12] Alle deutschen Übersetzungen aus dem Englischen sind, wo nicht anders angegeben, von mir.

[13] Vgl. The Fourty Chapters of Al Kindi, Übersetzung von Benjamin Dykes, Cazimi Press, 2011, S. 41*Bildquelle: https://www.timeanddate.de/astronomie/neigung-erdachse[14]Benjamin Dykes, Introduction to Traditional Astrology, S. 52 citing Al Quabisi

[15] Al Biruni, The Book of Instruction  in the elements of the art of astrology, (S. 378) online auf https://archive.org/details/TheBookOfInstructionOnTheElementsOfTheArtOfAstrologyByAlBiruni/page/n245 (Paragraph 378)

[16] Claudius Ptolemy, Tetrabiblos, (Robbins Übersetzung)0020Loeb classical library, 1940, I-14, p. 77 online auf http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Ptolemy/Tetrabiblos/1B*.html#14

[17] Claudius Ptolemy, Tetrabiblos, Loeb classical library, 1940, I-14, p. 77 online auf http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Ptolemy/Tetrabiblos/1B*.html#15

[18]http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Ptolemy/Tetrabiblos/1B*.html#ref82, Deutsche Ausgabe Siehe Ptolemäus, Tetrabiblos, Chiron Verlag, S.47

[19] Dorotheus of Sidon, Carmen Astrologicum, Dykes translation, Cazimi Press, 2017, S.231 (Book V, 5)

[20] Dorotheus of Sidon, Carmen Astrologicum, Dykes translation, Cazimi Press, 2017 p.232 (Book V,5)

[21] Paolo d’Alessandria, Introduzione all´astrologia, trad. Giuseppe Bezza, Mimesis 200, S. 43

[22] William Lilly, Christian Astrology, S. 90

[23] Julius Firmicus Maternus, Die Acht Bücher des Wissens-Matheseos Libri VIII, Chiron Verlag 2008, S. 79

[24] Wie in der deutschen Übersetzung von Firmicus zu lesen ist, identifizierte Theodor Momsen den Horoskopeigner als Ceionius Rufus Albinus, während Walter Koch es 1931 in der Astrologischen Rundschau auf das Datum vom 14.3.303 n.CH. (Julianischer Kalender) auf 23 Uhr berechnet.

[25] Der Kriya Yoga ist eine spezielle Meditationstechnik, die den Yogi in Kontakt zu seinen eigenen höheren Kräften und letztendlich zu Gott bringt.

[26] Lilly p. 90

[27] William Lilly, Christian Astrology, S. 288

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